Es herrscht eine Ruhe an diesem Samstagnachmittag, die fast schon angsteinflößend sein könnte. Einzig und allein das Knattern des Motors unterbricht die Stille. Der Blick in meinen Rückspiegel zeigt eine endlose Leere, der Blick in meine Windschutzscheibe ebenso. Zu meiner rechten zerbrechen in beunruhigend naher Entfernung acht Meter große Wellen an ihrer eigenen Höhe, ihre Ausläufer nähern sich in bedrohender Schnelligkeit, ehe ihnen am Ende doch der Mut fehlt, mich in ihre Schlinge hineinzuziehen. Zu meiner Linken herben sich in Wohnblockgröße Sanddünen, nur an ihren verwehten Gipfeln kann man die Stärke des Windes erahnen. Auf Grund der geschlossenen Fenster bleibt mir die Akustik dieser Naturschauspiele fern, es halten mich nur die rhythmischen Motorengeräusche meines Fahrgerätes wach, unausgeschlafen und ungeduscht klammere ich mich an mein Lenkrad und tue nichts anderes als - Geradeaus zu fahren. Siebzig zeigt der Geschwindigkeitsmesser, mehr traue ich mir nicht zu, ab und an gerät mein Van ordentlich ins Schleudern und ich erwache aus meinem Halbschlaf. Wir befinden uns mitten auf einem Strand, dessen Anfang und Ende man nur erahnen kann. Der Ninety Mile Beach ist zwar in Wirklichkeit keine neunzig Meilen lang, besitzt aber dennoch eine unvorstellbare Weite. Man kann jeden der achtundachtzig Kilometer abfahren, sollte aber zumindest ein Allrad betriebenes Auto haben. Da diese Voraussetzung von meinen Mazda Bongo erfüllt wird, konnten wir uns diesen Spaß natürlich nicht entgehen lassen, es war eines der vielen kleinen Abenteuer meiner vorerst letzten Neuseelandrundreise.
Los geht eine Neuseelandreise immer mit dem Einkauf. Da wird schon nicht mehr lange überlegt was man sich denn köstliches die nächsten Tage kochen will. Es reicht ein Griff ins Nudelregal, einer für die Soße, ein weiterer fürs Toast, noch einer für ein paar Thunfischdosen und der letzte für die Müsliriegel. Die Nutella kann ich mir von meinem Haus mitnehmen und Wasser wird schon lange nur noch aus dem Wasserhahn getrunken. Während ich in Deutschland einen solchen Ausflug Tage vorher genauer durchgeplant hätte, ist mir das organisatorische Vorgehen in Neuseeland vollkommen abhanden gekommen, einen Wald zum Schlafen findet man schon. So brach ich an einem Donnerstagmorgen auf, warum das relevant ist, weiß ich eigentlich auch nicht. Das erste Ziel stellte die größte Stadt im sogenannten Northland dar, Whangarei (gesprochen: Vangerei). Jede weitere Zeile verbietet sich über diese Stadt, dagegen ist Schwedt eine Perle. In der Nähe von Whangarei gibt es ein kleines Höhlensystem, welches man kostenlos bewandern kann. Da ein deutscher Massentourist namens Michael Graupner Warnungen wie „in den Höhlen könnte es etwas nass werden“ mit dem Tragen einer Jeans und Halbschuhen beantwortet, hatte ich nach zwanzig Metern Höhlenwanderung schon genug. Das Wasser stand mir bis zum Gürtel und es war eisig. Man hätte wohl noch ein paar Kilometer weitergehen können, aber nach zweihundertfünfunddreißig Metern machte ich kehrt und musste mir das Gelächter von entgegenkommenden Kiwis anhören, bloody German.
Nächster Halt waren die Whangarei Falls. Über die Whangarei Falls sagt der überlebenswichtige Lonely Planet: „The Whangarei Falls are the Paris Hilton of NZ waterfalls - not the most impressive but the most photographed.“ Einen Kommentar meinerseits erspart sich der Verfasser, er lässt das Bild sprechen.
Paris Hilton???
Weiter geht’s, machen wir mal jetzt eine Toilettenpause. Ihr alle kennt doch bestimmt den österreichischen Maler Friedrich Hundertwasser. Der bereiste regelmäßig Neuseeland seit Mitte der siebziger Jahre und ließ sich bis zu seinem Tod ganz am anderen Ende der Welt nieder, wurde sogar hier beerdigt. Jedenfalls hat der Gute Friedrich vor allem im Norden der Nordinsel gearbeitet, genauer in dem kleinen Örtchen namens Kawakawa. Dort hatte er drei Jahre vor seinem Tod eine öffentliche Toilette kreiert, die ich mir als alter Kunstexperte natürlich nicht entgehen lassen konnte.
World famous in New Zealand - die Hundertwasser- Toilette.
Welcher Tourist hat hier nicht schon seine Spuren hinterlassen?
Nach diesem freudigen Erlebnis stand die Suche nach einem Schlafplatz an. Vorher wurde mir in der Touristeninformation abgeraten im Northland im Wald zu campen, da sowieso verboten und hier wohl auch gefährlich, ein paar Maori Jugendliche hätten abends wohl etwas Langeweile. Naja, so sehr hat mich dieser Hinweis jetzt nicht abgeschreckt, aber nachdem die Sonne schon verschwunden war und immer noch kein Platz gefunden, nahm ich mir dann doch den Luxus eines Campingplatzes. Van geparkt und Kocher ausgepackt. Noch nicht mal eine Minute vergangen, da vernehme ich einen altbekannten Akzent. „Over there is a well equipped kitchen.“ Der Stolperer bei equipped hatte meine Campingnachbarin verraten – ich war wieder einmal von Deutschen umgeben. Genauer genommen kam das Ehepaar aus Homburg, als ich meinte, dass ich aus Eberswalde komme, eine Stunde nördlich von Berlin, antwortete die Frau: „Das ist ja dann schon Mecklenburg, oder?“ Fast.
Mein Campingplatz befand sich in unmittelbarer Nähe zu dem Bay of Islands. Vollkommen überraschend besteht diese Bucht aus lauter kleinen Inseln, ungefähr einhundertfünfzig sollen es sein. Um diese Inseln herum schwimmen ab und zu auch ein paar Delfine. Verschiedene Bootsunternehmen werben mit der ultimativen Delphingarantie, nach langem hin und her hatten sie auch bei mir Erfolg und so nahm ich an einer kleinen Tour teil. Das Versprechen wurde auch schon nach wenigen Minuten eingehalten und so sah ich halt Delphine im Wasser schwimmen, toll.
Sind sie nicht süß?
Auf Wiedersehen.
Aber die Tour war noch lange nicht vorbei. Ziemlich am Ende der Bucht gibt es ein weiteres Highlight; The Hole in The Rock. Das ist nichts Weiteres als ein Felsen in dem sich ein Loch befindet, welches durch Wind und Wellen geschaffen wurde.
Jepp, da ist halt ein Loch im Felsen.
Danach wurde dann noch eine der Inseln besichtigt und das wars dann, im Nachhinein hätte ich mir die ganze Geschichte sicherlich auch sparen können, aber was solls. Als nächstes wurde dann ein bisschen neuseeländische Geschichte erlebt. In einem kleinen Plätzchen namens Waitangi im Bay of Islands wurde am sechsten Februar vor einhundertsiebzig Jahren der Vertrag von Waitangi (Treaty of Waitangi) unterzeichnet. Da in mir immer noch zu sehr der Geschichtsleistungskursteilnehmer steckt gibt es jetzt den zweiten Teil von neuseeländischer Geschichte für Anfänger: Anfang des neunzehnten Jahrhunderts stellten immer mehr Europäer fest, dass Neuseeland ja eigentlich doch ein schönes Fleckchen Erde ist und so kamen immer mehr von ihnen ans andere Ende der Welt. Dabei brachten sie ganz viele tolle und weniger tolle Dinge mit (mehrheitlich Zweiteres), allen voran Waffen, die sie im Tausch, zum Beispiel gegen Land, an die Maori weitergaben. Diese Technik fanden die wiederum ganz spannend und mussten sie erst einmal in ein paar Kriegen gegenseitig ausprobieren, um später dann auch gegen die Weißen einige Gefechte anzufangen. Das und der Fakt, dass Frankreich von Neuseeland auch ziemlich begeistert war und sich auch am liebsten auch niederlassen wollte, veranlasste die britische Krone einige Dinge mal klar zustellen, in Form des Treaty of Waitangi. Mit diesem Vertrag wurde Neuseeland britische Kolonie und es wurde wichtige Abkommen zwischen Neuseeländern und Maori getroffen. So weit so gut, allerdings gabs von diesem Vertrag logischerweise zwei unterschiedliche Übersetzungen, die dann aber auch unterschiedlich interpretiert wurden. So wurde nach dem Vertrag zwischen Maori und Weißen da weitergemacht wo man eigentlich aufgehört hatte – mit Krieg, bzw. mit mehreren, aber das ist auch schon wieder eine andere Geschichte. Jedenfalls gilt der sechste Februar als eine Art Geburtsstunde des „modernen“ Neuseelands und ist der Nationalfeiertag. In Waitangi kann man unter anderem das Haus besichtigen, indem der Vertrag unterzeichnet wurde.
Anschließend stand noch eine recht anstrengende Fahrt an den nördlichsten Zipfel Neuseelands bevor, davon am nächsten Tag mehr. Genächtigt wurde wieder auf einem Campingplatz, diesmal aber kostenlos und mit Plumpsklo. Zum Abendbrot gab es erneut Pasta, diesmal fotografierte sich Tim Mälzer mal selber.
Wollt ihr mal probieren?
Nach einer weiteren durchwachsenen Nacht stand wieder das volle touristische Programm auf dem Plan. Diesmal war es der (fast) nördlichste Punkt Neuseelands – das Cape Reinga. Am Cape Reinga treten nach Maori Mythologie die Seelen der Toten ihren Pilgerweg in ihre Herkunftsregion, Polynesien, an, da Gerüchten zu Folge der Verfasser dieses Blogs seine polynesischen Wurzeln noch nicht offenbart bekommen hat, wollte ich doch lieber erst mal an Land bleiben und diese atemberaubende Atomsphäre auf mich wirken lassen. Man steht am Cape Reinga, schaut Geradeaus, in die Weiten des Ozeanes, und denkt; ‚da irgendwo ist doch, äh, Indonesien.‘ Da kam zum ersten Mal so richtig dieses am anderen Ende der Welt- feeling auf, seltsam. Ein weiteres Spektakel ist das Treffen des pazifischen Ozeanes und der tasmanischen See, man kann richtig erkennen wie die Wellen sich gegenseitig begrüßen, da lief es mir schon kalt den Rücken runter. Hier mal ein paar Impressionen.
Jepp und der war jetzt auch schon da.
Diese Richtung müsste stimmen.
Tasman (links) meets Pacific (rechts).
Schön, mit schweren Herzens musste ich mich auch vom Cape Reinga verabschieden. Von da aus ging es den nördlichen Zipfel wieder runter, diesmal aber mit zwei Zwischenstopps. Den ersten gabs an ein paar Sanddünen. Das wäre an sich nicht so besonders, wenn diese nicht über fünfzig Meter in die Höhe ragen. Eine Frau wusste was mit diesen Dünen anzufangen und verkauft davor kleine Bretter mit denen man sogenanntes Bodyboarding betreiben kann, also mit dem Kopf nach vorne den Berg runter, konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen.
Genau im Moment des Fotos kam ein Sandsturm.
Das war funnig. Eigentlich beginnt schon von da aus der Ninety Mile Beach, allerdings wird ein Befahren von den Sanddünen dringend abgeraten, den Abschleppdienst bezahlt keine Versicherung. So wagte ich mein Glück weiter südlich.
Der Bongo vor seiner aufregendsten Fahrt.
Diesmal wurde abends in einem gemütlichen Wald geschlafen und am nächsten Tag stand ein langer Weg zurück nach Helensville an. Bevor meiner Rückkehr wurde ich aber noch zum Förster. Man kann auf dem Weg gen Süden durch einen Wald fahren, einem Kauri- Wald. Der Kauri- Baum ist einer der wenigen noch existierenden neuseeländischen Baumarten und natürlich ein Touristenmagnet. Der größte Kauri- Baum besitzt eine Höhe von einundfünfzig und einen Umfang von vierzehn Metern und den Namen Tane Mahuta.
Übersetzt: God of the forest.
Nun gut, war halt auch nur ein großer Baum. Nachdem ich mir noch ein paar weitere Kauris angeschaut habe und feststellte diesen Baum nicht in meinen Garten zu pflanzen, begann die endgültige Rückreise in mein Dorf.
So soll es dann auch gewesen sein. Wenn man so will habe ich nun quasi ganz Neuseeland bereist. Vom fast südlichsten bis zum fast nördlichsten Punkt, vom fast östlichsten bis zum fast westlichsten Punkt. Jedes Mal fehlten ein paar Kilometer um die jeweilige Maxime zu erreichen, egal, so gut wie jede Region Neuseelands durfte meinen Atem spüren. Vor einem Jahr war mir vielleicht bewusst, dass dieses Land aus zwei Inseln besteht, jetzt weiß ich, es sind dann doch ein paar mehr. Alles was ich sehen wollte hab ich mehr oder weniger sehen dürfen, aber keine Angst, Langeweile kehrt in den verbleibenden zweieinhalb Monaten garantiert nicht auf, das kann ich versprechen.
Ich wünsche euch allen einen geruhsamen ersten Mai!
Bis demnächst!!
Grüßt die Kiwis!!!
Euer Michi
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