Ich begrüße euch an diesem angenehmen Herbstabend zu einem weiteren Blogeintrag. Der an die Fenster nur so klatschende Regen der letzten Tage hat sich seit heute Nachmittag eine Atempause verschrieben, den böigen Nordwestwind hat er von der Notwendigkeit des Luftholens auch noch überzeugen können und so sitzen die beiden bestimmt ganz gemütlich, mit einem Gläschen Tui in der Hand, auf einem der umliegenden Berge und betrachten den nicht ganz sternenklaren neuseeländischen Abendhimmel. Bevor sie morgen wieder ihr Unwesen treiben werde ich euch daher lieber ein paar Zeilen schreiben, Betonung liegt hierbei auf „Zeilen“ und nicht auf „ein paar“. Wobei ich gestehen muss, dass dies wieder einer dieser Einträge ist, bei denen ich am Startschuss nicht weiß, wann, wie und wo die Ziellinie überschritten wird. Die Trägheit des Herbstes hat sich auch in den Rhythmus meines Lebens eingeschlichen, für einen größeren Ausflug fehlt im Moment die Lust, es sind eher die kleinen Dinge, die mich im Moment bei Laune halten.
Dabei ist es nicht so, dass ich nach dem erklingen meines Radioweckers jeden Morgen meinen Kalender anstarre und einen Strich für die nächste vollendete Nacht mache. Ganz im Gegenteil. Fragt mich mal bitte einer danach, wie viele Tage ich in Neuseeland noch habe? Ich weiß es nicht. Und das ist, wie ich finde, ein ganz gutes Zeichen. Ich bleibe lieber noch ein wenig liegen, warte bis die Nachrichten gesprochen wurden, und dann beginnt mein Tag.
So war das heute Morgen auch wieder, jedoch kam heute nach zweiminütiger Wachsamkeit der Gedanke hinzu, euch doch „endlich“ wieder einen Eintrag zu hinterlassen. So weit, so gut. Aber ein Gedanke allein hämmert ja noch keine Buchstaben in die Tastatur und so beschäftige mich den ganzen Tag, beim Duschen, beim Wäsche heraushängen und beim Abendessen kochen, über was ich denn nun schreiben könnte. Von neuseeländische Geschichte für Anfänger Teil drei, ein Bericht über die Maori- Kultur oder über die wahnsinnig spannenden Auseinandersetzungen mit meinem neuen Mitbewohner, stand aller Hand zur Auswahl. Ich entscheide mich für Variante Nummer vier, die mir schon fast sei meiner Ankunft in den Fingern klemmt; die Deutschen und die Kiwis.
Wenn mich nicht alles täuscht war es der neunundzwanzigste Dezember des letzten Jahres, so um die Mittagszeit herum. Der Regen prasselt nur so gegen die Windschutzscheibe unseres Vans, große Lust auszusteigen besitzt eigentlich keiner von uns drei, aber eines der eher raren Sehenswürdigkeiten an der Westküste der Südinsel sollte man sich dann eigentlich doch nicht entgehen lassen. So lassen Till, Matthias und ich unseren Bongo auf den mit Touristenbussen überfüllten Parkplatz stehen und stapfen eher missmutig in Richtung Pancake Rocks. Von denen habe ich euch ja auch schon mal geschrieben, waren die Felsen, die wie übereinandergeschichtete Pfannkuchen aussehen. Auf dem fünfminütigen Fußweg dorthin treffen wir zum ersten Mal Menschen, die unserer Muttersprache mächtig sind - deutsche Touristen. Naja, macht ja eigentlich nichts, wir sind ja schließlich auch welche und ein paar unserer Mitbürger sind wir an jeder im Marco Polo erwähnten Sehenswürdigkeit gewohnt. Die Pancake Rocks angeschaut, dem Himmel gedankt, dass es aufgehört hat zu regnen und ein paar Bilder gemacht. Schon an jeder einzelnen Informationstafel schauten wir drei uns merkwürdig an, man konnte gar nicht in Ruhe lesen, schon wurde man wieder durch das Hören seiner eigenen Sprache unterbrochen. Nachdem wir von Pfannkuchen genug hatten, war der Hunger nach einem anständigen Mittag im am Parkplatz befindlichen Café recht intensiv. Auf dem Weg zurück erhöhte sich die Dichte der Anzahl unserer Landleute von Meter zu Meter. Am Café angekommen gab es des Rätsels Lösung. Folgendes Fahrzeug eröffnete sich unserem Blickwinkel:
„Chamäleon – Reisen in kleinen Gruppen und individuelle Reisen“ Kurz den Kopf geschüttelt und auf zum Mittagessen. Was es genau gab kann mein erbärmliches Langzeitgedächtnis nicht mehr herauskramen, jedenfalls blieb uns der Genuss des anschließenden Kaffees verwehrt. Vor dem Café parkte ein roter Bus, eigentlich nicht großartig erwähnenswert, hätte dieser nicht folgende Aufschrift gehabt:
„Rotel Tours – Das rollende Hotel“ Mit der Ankunft des Busses erscheint plötzlich auf der linken Bildfläche eine Masse von Menschen. Dicht gedrängt zwängen sie sich in die beiden zur Verfügung stehenden Eingänge, keiner will ja seinen schon seit Beginn der Reise fest reservierten Sitzplatz verlieren. Das Gros der Menschen befindet sich im mittleren bis etwas gehobenen Alter, alle mit dicken Pullovern oder Jacken und jeder mit mindestens einer Digitalkamera am Hals. Die Schlange löst sich in weniger als dreißig Sekunden auf, schon sitzen alle ganz gemütlich im Bus und schauen sich ihre gerade geschossenen Bilder oder die eben ergatterten Souvenirs noch einmal genauer an, alle scheinen sie glücklich und zufrieden. Wir drei sind es nicht unbedingt und wenden uns wieder unserem Kaffee zu. Als dieser nach fast zehn Minuten ausgetrunken ist blicken wir ganz verwundert zum immer noch dastehenden roten Bus, die Menschen in diesem haben jetzt gar nicht mehr den noch so zufriedenen Gesichtsausdruck. Sie schauen nervös, ja schon fast ängstlich drein. Einige werfen einen Blick auf die Uhr, dieser löst ein anschließendes Kopfschütteln aus. Ich tue das Gleiche und stelle fest: 13:01 Uhr. Mein Blick immer noch auf die digitalen Ziffern gerichtet und die weißen Schriftzeichen im Kopf bildlich vorstellend, leuchten mir die veränderten Gesichtsausdrücke der Touristen ein. Nach drei weiteren, qualvoll langen, Minuten erreicht ein Pärchen, wahrscheinlich Ende zwanzig, auf Grund des eben zurück gelegten Sprints, völlig erschöpft den Bus. Im selben Augenblick erfasst mein Auge eine umgehende Reaktion der Passagiere im Bus, die am Fenster sitzenden zeigen mit ihrem Finger auf das Pärchen, anschließend beugt sich der Sitznachbar her rüber und erkennt die beiden ebenfalls. Wieder einsetzendes Kopfschütteln setzt die Szenerie fort, diesmal gefolgt von nicht zu verstehenden Konversationen der jeweiligen Sitznachbarn, gefolgt von einem erneuten Blick auf die Uhr. Der Busfahrer öffnet die Tür, es dauert keine zehn Sekunden, bis er ins Gaspedal drückt und der Bus im wieder einsetzenden Regen verschwindet.
Ja so war das. Das Busunternehmen Rotel- Tours kam mir vorher schon einmal zu Gesicht, es war im Jahre zweitausendundsieben, in Irland. Dass das deutsche Tourismusgeschäft aber nun schon am anderen Ende der Welt so floriert war mir bisher unbekannt. Da wird dem Titel „Reiseweltmeister“ alle Ehre gemacht. Ich hoffe ihr versteht mich jetzt nicht falsch, selbstverständlich habe ich nichts dagegen, wenn unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger der neuseeländischen Wirtschaft aus der heftigsten Rezession der letzten dreißig Jahre helfen. Aber müssen wir gleich unsere eigenen Reiseunternehmen mitbringen? Abgesehen von unseren chinesischen, japanischen und natürlich neuseeländischen Freunden, traf ich kein weiteres dieser Fortbewegungsmittel eines anderen Landes an.
Wie schon erwähnt war dies ja nicht die einzige Begegnung mit unseren Landsleuten. Auf einem Gletscher, in zahlreichen Museen, der steilsten Straße der Welt, am fast südlichsten Punkt, im Milford Sound, sogar beim wild Campen, eigentlich überall. Obwohl; bei einer Tätigkeit trafen wir den deutschen Sommertouristen fast nie an, beim Wandern. Mein Gedächtnis ruft eine Begegnung mit einem Schwaben auf dem Kepler Track hervor, mehr nicht und wir haben ja ein paar Kilometer absolviert. Das Merkwürdige war, dass die meisten mindestens vier Wochen Urlaub haben und anschließend noch zwei in Australien verbringen, oder gerade aus Hawaii kommen. Wir trafen auch einige, die schon seit Jahren in Neuseeland wohnen und in ihrer Art und Weise schon etwas den „Kiwi- way of life“ angenommen haben, mit denen konnte man sogar etwas über den deutschen Massentouristen „lästern“. Was ich an dieser Stelle aber unterlassen will.
Und was denken die Kiwis über uns Deutsche? So wie ich das aufgefasst habe, freuen sich die meisten, dass wir hier sind, vor allem als deutscher Freiwilliger gilt man als zuverlässig, pünktlich und belastbar. Über die Touristen können sie sich natürlich auch nicht beschweren, obwohl man schon bei der Preisgabe seiner Nation ein leichtes Augenrollen oder dieses „na woher denn sonst“ verspüren kann. Obwohl sie ja angebliches nichts gegen mehr deutschen „Einfluss“ gehabt hätten. Ich habe mal mit einem Neuseeländer in einer Bar über Geschichte gesprochen. Der meinte, dass die Kiwis das so sehen, wenn Deutschland den zweiten Weltkrieg nicht verloren hätte, wäre Neuseeland jetzt deutsch und so schlimm wäre das jetzt auch nicht. Ich hebe keinen Anspruch auf Verallgemeinerung, aber meine House Leaderin meinte so etwas Ähnliches vor kurzem auch. Sowieso scheinen die deutlich lockerer mit unserem dunklesten Kapitel umzugehen. Hier ein paar Erfahrungen:
Schon in meiner ersten Woche war das. Wir sind mit den Zwillingen zu einer Art Kurs für Zeichensprache. Die Aufgabe bestand für sein eigenes Land ein Zeichen zu finden. Als ich an der Reihe war viel mir spontan nichts ein. Neben mir saß ein weiterer Betreuer, als ich nach fünf Sekunden immer noch kein Zeichen parat habe, hebt dieser doch tatsächlich seinen rechten Arm und streckt diesen mit einem Steigungswinkel von circa fünfundvierzig Grad Richtung Decke. Ich war ein wenig schockiert und schaue die anderen in der Runde an, keiner schaute entsetzt, sondern hatte ein Lachen auf dem Lippen, da konnte ich mir auch ein Schmunzeln nicht entgehen lassen.
Ein paar Monate später in einem christlichen Camp in New Plymouth. Tom und ich besuchen zwei andere Freiwillige. Eine der Mitarbeiterinnen des Camps war unser Alter, als wir ihr Guten Tag sagen wollten und meinten, dass wir aus Deutschland kommen, ihr Kommentar: “Oh really? My grandfather fought in the second world war and bombed a bridge in Cologne.“ Da war ein Fortsetzen der Konversation erst mal schwierig.
Ein weiteres Beispiel noch; ebenfalls noch in meinem ersten Halbjahr. Auf irgendeiner Mt. Tabor- Veranstaltung treffe ich einen Mann, der den vorherigen Freiwilligen in meinem Haus gekannt hat. ”I remember Tobias, who used to be the volunteer before you. He was tall, had blond hair and blue eyes; a perfect German. Adolf Hitler would have loved him. How do you call guys like him ‘Arier’?” Und mit einem Lächeln verschwand er auch wieder.
Es gab noch weiterer dieser Begegnungen, die mir aber nicht so sehr haften geblieben sind wie die dargelegten. Agnes zum Beispiel fragt mich immer noch regelmäßig:“Have you still a lot of Nazis in Germany?“ Auch wenn man das selbstverständlich nicht als repräsentative Beispiele nehmen kann, habe ich schon den Eindruck, dass viele Neuseeländer bei dem Gedanken an Deutschland, erst an die Geschehnisse von dreiunddreißig bis vierundfünfzig, anstatt zum Beispiel die Wiedervereinigung denken, wobei sie da sicherlich nicht die einzigen sind auf dieser Welt und wer soll es ihnen verdenken.
Was bleibt zum Abschluss dieses Geschwafels? Ich finde in uns allen könnte ein bisschen mehr Kiwi stecken. Ja, das sagt der als „Mr. Prinzip“ geltende Verfasser dieses Blogs. Etwas lockerer mit der Welt und den Mitmenschen umgehen, die Kiwifrucht ungeschält essen, barfuß durch die Stadt laufen oder das Auto ungeschlossen auf dem Parkplatz stehen zu lassen. Wäre doch mal ein Anfang, oder?
Hoffentlich nehmt ihr das jetzt nicht als persönliche Kritik auf und fühlt euch durch diesen Eintrag direkt angesprochen, um Himmels willen. Ich wollte, das einfach nur mal so loswerden, meldet euch, wenn man das falsch verstehen kann.
Ich belasse es dabei auch für heute Abend. Als Abschluss gibt es ein Bild, welches vor den Pancake Rocks geschossen wurde, ich war ziemlich erschrocken als ich das eben gefunden habe. Herr Wind und Frau Regen befinden sich immer noch auf ihrem Hügelchen, es ist anscheinend nicht bei dem einen Tui geblieben. Dafür findet aber Dr. Kälte Einlass in die nicht isolierten Wände unseres Hauses, somit sage ich für heute:
Gute Nacht!
Blühe deutsches Vaterland!!
Grüßt die Kiwis!!!
Euer Michi