Montag, 22. Februar 2010

Halbzeit.

Und schon wieder ist es ein Monat. Ein Monat ohne jegliches Lebenszeichen von mir. Ein Monat indem sich schon langsam wieder einige dicke Staubmilben ihr gemütliches, warmes Plätzchen auf diesem Blog zu Recht gemacht haben und hier für immer weilen könnten. Damit ist jetzt aber Schluss. Lappen und das täglich zum Bad putzen benutzte Desinfektionsmittel zur Hand genommen und dann ran an die Arbeit, mal sehen wie sauber es wird.

Aber zu Beginn muss ich nochmal Nacharbeit leisten. Es ist nämlich auf den Tag genau ein Monat her, als am 22. Januar ein Pfiff ertönte. Woher er kam, kann ich leider nicht sagen. Er war einfach da. Genauer genommen handelt es sich um den Halbzeitpfiff meines freiwilligen sozialen Jahres in Neuseeland. Die erste Hälfte ist rum, Zeit für einen Pausentee oder zum Durchschnaufen gab es nicht, der Schiedsrichter pfiff umgehend zur zweiten Halbzeit. Dort befinden wir uns jetzt ungefähr in Minute dreiundfünfzig, es ist also noch jede Menge zu spielen, aber die Zeit tickt nur so die Uhr runter, Neuseeland ist die überlegene Mannschaft, aber reicht das um in die nächste Runde einzuziehen? Abwarten und dann vielleicht doch ein Tee trinken.

Nach unserer fantastischen Woche in Melbourne hatte Matthias mich am Sonntag vom Flughafen in Christchurch abgeholt, Till blieb in Australien, was sich umgehend positiv auf die Atmosphäre auswirkte, und es ging weiter in Richtung Norden der Südinsel. Auf dem Weg machten wir einen Stopp in Kaikoura, einem kleinen Fischerdörfchen, welches vor zwanzig Jahren die gleiche Attraktivität wie Bitterfeld besaß. Mitte der Achtziger stellten dann aber ein paar Leute von außerhalb fest, dass vor der Küste Kaikouras ein paar Wale und haufenweise Delphine ihre Bahnen ziehen (das wussten die natürlich schon früher, aber es hat sie nicht sonderlich interessiert) und in wenigen Jahren wurde aus Kaikoura ein Mekka des Wal- und Delfintourismus, mit zahlreichen Unternehmen, die eine Bootstour zu den Walen oder Schwimmen mit Delphinen anbieten. Nachdem mich Frank Schätzing vom Whale Watching eher abgeschreckt hatte, freute ich mich auf eine kleine Runde mit den intelligentesten Tieren der Welt. Als ich jedoch den Preis für diese Aktivität zu Gesicht bekam, klopfte Dr. Geld sehr heftig an meinen Kopf und meinte, dass ich mir Delphine auch im Heide Park Soltau anschauen kann, zu viel hatte mich meine Woche in Melbourne gekostet. Matthias konnte sich diese Chance jedoch nicht entgehen lassen und erzählte mir nachher ziemlich beeindruckende Sachen, dass er unter anderem mit zweihundert Delphinen geschwommen ist, egal irgendwas muss man sich ja für den nächsten Neuseelandurlaub aufbewahren.

Am folgenden Tag gab es die, im vorherigen Blog schon erwähnte, Fahrüberfahrt zurück auf die Nordinsel. Was bleibt von der Südinsel Neuseelands? Ich könnte jetzt hier schon wieder anfangen, wie; vier Wochen die ich nie vergessen werde oder sowas hab ich in meinem Leben noch nie gesehen, einzigartige Tiere, fantastische Landschaft und blablabla. Fakt ist, dass jedes Wort über die größere der beiden Inseln eines zu viel ist und an dieser Stelle sind es schon wieder einige Zeilen zu viel. Kommt einfach her hier, ihr werdet es nicht bereuen.

Unser Van führte uns in innerhalb von vier Stunden in Richtung Osten, genauer genommen nach Napier. 1931 erschütterte ein Erdbeben die 14. – größte Stadt Neuseelands, anschließend wurde die gesamte Stadt wieder neuaufgebaut, und zwar im Art- Déco- Stil, welcher ja in Europa zur damaligen Zeit der Renner war. Der Renner war Napier jedoch nicht, manche sagen es soll die schönste Stadt Aotearoas sein, ich war eher enttäuscht. Über all diese kitschigen Art- Déco- Motive, der Kunstkritiker Michael Graupner hatte kein Herz dafür und zog am nächsten Nachmittag weiter. Ein Tag des Reisemonats blieb noch übrig, jedoch hatten Matthias und ich keinerlei Motivation groß etwas zu unternehmen. So endete der offizielle Teil meines Reisemonats ohne würdigen Abschluss am achtundzwanzigsten Januar. Allerdings durfte ich noch nicht zu meinen Behinderten zurück. Es stand noch ein dreitägiges Camp meiner neuseeländischen Organisation an, welches hauptsächlich darin bestand, all die anderen achtunddreißig Freiwilligen zu treffen und mit denen über ihr erstes Projekt und ihre Reisezeit zu quatschen. Der Höhepunkt war dann das Rafting am Samstagnachmittag, dort sind wir den mit sieben Meter höchsten, kommerziell zu befahrenen, Wasserfall auf der Welt runter gerast, joa, man war anschließend etwas nass. Sonntags hieß es dann zum letzten Mal den Schlafsack in den Beutel pressen und mit dem Bus auf nach Auckland, wo mich mein Haus schon sehnsüchtig erwartete.

"There he is!"

Im Bus nach Auckland kam etwas wie Vorfreude auf die Rückkehr nach Helensville auf. Das hatte sich schon die letzten Reisetage angebahnt. Keine Übernachtungen mehr in einem unkomfortablen Van, kein Abendbrot mehr mit der guten alten Thunfisch- Box, keine Suche mehr nach der möglicherweise letzten frischen Boxershort, kein Geweckt werden durch die Sonne und sich die Frage stellen: „So, wo übernachten wir heute Abend?“ Ich wollte endlich wieder in mein Bett schlafen, gutes selbstgekochtes Essen verzehren, regelmäßig meine Wäsche waschen und ja ich wollte wieder Klos putzen! Nachmittags kam ich dann voller Erwartungen in Auckland an und sah schon von weiten unseren Van. Auch erkannte ich gleich meine, schon leicht nervös drein blickenden, Mitbewohner grad von der Toilette kommend. Robbie entdeckte mich zuerst und schrie über den gesamten Busbahnhof: „There he is!“ Nachdem ich Robbie und David die Hand gab, umarmte mich Ron, zur Erinnerung einer der beiden Zwillinge, es schien, dass ihn meine Rückkehr sehr erfreute. Wobei er im Sommer immer in einer sehr guten Stimmung ist, da die meisten Frauen, egal welchen Alters, kürzere Bekleidung tragen und er sich dadurch noch mehr ihnen hinzugezogen fühlt. Als letztes begrüßte mich Agnes, obwohl ganz richtig ist das nicht. Ich wollte ihr die Hand geben, aber sie ignorierte dies völlig und fing an mich gleich ganz nervös zu fragen: „Do you want to play Bowling with us?“ „Of course I would like to, when we gonna play?“, „On the 8th of July.“ Da bleibt uns ja noch ein bisschen Zeit. In Helensville sind wir dann eine Stunde später angekommen. Groß hat sich hier während meiner Abstinenz nicht verändert. Einzig und allein tragen die kleinen Berge rund um Helensville statt eines satten Grüns ein grässliches Braun. Während ich auf der Südinsel den „schlimmsten Sommer aller Zeiten“ hatte, gab es um Auckland vier Wochen fast kein Regen, was für die unzähligen Farmer selbstverständlich tödlich ist. Egal, für deren Leid hatte ich erst einmal nicht viel übrig, ich war glücklich wieder zu Hause zu sein, so fühlte es sich jedenfalls an. Hier ein Bild von meiner Eingangstür, mein Zimmer wurde von Rachael mit Ballons bestückt.

So richtig Fuß fassen konnte ich jedoch nicht. Gleich am zweiten Tag nach meiner Ankunft stand mehr oder weniger das Highlight für alle Behinderte an, das alljährliche Camp. Das bedeutete vier Tage „Urlaub“ für Behinderte und Betreuer, es ging zur Coromandel Halbinsel, welche zwei Stunden westlich von Auckland ist. Angesichts von siebenundzwanzig geistig behinderten Menschen auf einen Fleck hielt sich meine Begeisterung arg in Grenzen, ich täuschte mich aber gewaltig. In meinen fünf Monaten zuvor hatte noch sie so viel Spaß mit Mount Tabor gehabt. Man lernte alle, Behinderte und Betreuer, besser kennen und ich verbesserte meine bisher erbärmliche Zeichensprache ein wenig. Größtenteils bestand das Camp daraus, dass alle Betreuer morgens schon um sechs Uhr wach waren, da seltsamerweise fast alle Behinderten unaufhörlich schnarchen und sogar Ohrstöpsel dagegen nicht ankommen. Tagsüber gab es dann mal einen Ausflug zu einem Freiwasserbecken, zu irgendwelchen botanischen Gärten oder eine wahnsinnig spannende Zugfahrt. In Erinnerung werden mir die zahlreichen Kickermatches mit den drei anderen, neuen, deutschen Freiwilligen bleiben, das hatte teilweise schon Studi Niveau. Wir wurden allerdings immer wieder von einer der Behinderten unterbrochen, Jane ihr Name, sie ist im wahrsten Sinne des Wortes Fußballverrückt. An meinem allerersten Mt. Tabor- Tag hatte sie uns in einem kompletten Dress der brasilianischen Selecao begrüßt und meinte, dass sie gleich gegen Deutschland im WM- Finale spielen muss, deshalb müsse sie sich jetzt vorbereiten und auf dem Weg zum Van vollzog sie merkwürdige Aufwärmübungen. Das diesjährige Camp war übrigens ihr letztes, nach neunundzwanzig Jahren Mt. Tabor verlässt sie die Gemeinschaft. Ihr zu Ehren wurde ein Fußballspiel am zweiten Abend absolviert, es gab tatsächlich die Wiederholung des WM- Finals vom 30. Juni 2002, Deutschland gegen Brasilien. Da Jane aber unbedingt für Brasilien spielen und mich in ihrem Team haben wollte, spielte ich für unsere Freunde vom Zuckerhut und fühlte mich dabei richtig schlecht. Brasilien gewann übrigens sieben zu zwei, oder so, Jane schoss drei Tore und wir hatten unseren Spaß.

Jane und ein Mensch mit einer bisher unbekannten Form von Autismus.

Am nächsten Tag habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Cricket gespielt und das mit Behinderten. So langweilig wie das am Fernseher übrigens aussieht ist es übrigens nicht. However, am letzten Abend gab es eine kleine Kostüm- Party, ich bekam einfach eine Star Wars- Maske aufgesetzt. Hier ein paar Schnappschüsse.

Agnes and me. („This hair isn’t real, you know.“)

Rachael and the clone warrior.

Roy (Hulk) and Ron (Irgendein neuseeländischer Sänger).

So viel also zum Camp. Dieses ist jetzt auch schon wieder drei Wochen her, was soll also jetzt noch groß kommen? Eine große Veränderung zu meinen ersten Monaten in Helensville ist, dass ich jetzt mobil bin. Vor zwei Wochen kam Matthias noch einmal vorbei, um mir den Van nun endgültig zu übergeben. Er ist mit seiner Freiwilligenarbeit am anderen Ende der Welt schon lange fertig und hat sich unheimlich gefreut vom achtundzwanzig Grad warmen Neuseeland ins eiskalte Bonn zurück zu kehren. Ich habe ihn selbstverständlich zum Flughafen gebracht und dachte in: ‘In fünf Monaten stehst du hier auch.‘ Wie aber schon gesagt, ist ja noch ein bisschen zu spielen. Ansonsten unternehme ich derzeit recht viel mit den anderen deutschen Freiwilligen, am Donnerstag verbringen wir unsere vier freien Tage zusammen, Bericht davon in zwei Jahren. Außerdem hat Nr. 5, also mein Haus, einen Mitbewohner weniger. David, our fellow american, hat uns vor einer Woche verlassen, bedeutet zwar jetzt etwas mehr Arbeit für mich, aber im Grunde sind wir alle glücklich das er weg ist.

An einem Thema komme ich aber nicht vorbei, an den olympischen Winterspielen in Vancouver. So richtig Olympiastimmung wollte bei mir vor Beginn der Spiele eigentlich nicht aufkommen, war hier auf Grund der zahlreichen Medaillenkandidaten nicht so der Renner. Aber Michael Graupner wäre nicht Michael Graupner, wenn ihn nicht doch das Olympiafieber gepackt hätte. Die Zeitverschiebung ist mit einundzwanzig Stunden ja fast optimal und so wird jetzt jeden Tag beim Klo putzen, Wäsche waschen oder Kochen Olympia geschaut. Anfangs über Eurosport Polen, aber jetzt empfangen wir endlich den neuseeländischen Sender der die Spiele überträgt. So muss ich mir jedes Mal ein „What’s wrong now, Michael?“ von Robbie anhören, wenn ich wieder über einen Treffer von Magdalena Neuner juble. Da aber die Kiwis genauso viele Teilnehmer haben, wie Deutschland Medaillen hat, wird jeder Auftritt eines Neuseeländers stundenlang zelebriert. Neulich beim Snowboard gab es eine Neuseeländerin, die in der Qualifikation angetreten ist, genauer genommen in der letzten Startgruppe, als zweit letzte Starterin und so überträgt „Prime“ (der Fernsehsender) die gesamte, fast dreistündige Qualifikation, um dann zu feiern wie das Kiwi Girl grad noch so ins Halbfinale kommt, dort jedoch sang und klanglos ausscheidet.

Oder eine Geschichte vom Shortrack. Dort nahm auch ein Neuseeländerteil, im Achteilfinale wars. Er war hoffnungslos unterlegen, eine halbe Runde hinter den ersten dreien zurück, nur die ersten zwei kommen weiter. In der letzten Kurve holt der Dritte jedoch den Zweiten von den Beinen, beide stürzen und der Kiwi kommt als Zweiter ins Ziel. Kommentar des Reporters: „That’s the way how we Kiwis do it.“ Der Glückliche war dann auch die Topmeldung bei allen Nachrichtensendern und wurde als Volksheld gefeiert.

Um den morgigen Olympiatag aber in aller Frische angehen zu können werden ich mit einem letzten Wisch diesen Blogeintrag nun beenden. Ich hoffe, dass die nächste Grundreinigung nicht allzu lange auf sich warten lässt. Zum Abschied ein Bild von Matthias, unserem Bongo und mir. Das Auto hat sich übrigens hervorragend geschlagen, die fünfeinhalb tausend Kilometer hat er gut überstanden und freut sich schon auf die nächsten Aufgaben.

Eine olympische Restwoche euch allen!

37 Minuten noch auf der Uhr!!

Grüßt die Kiwis!!!

Euer Michi