Mittwoch, 31. März 2010

Thank you, James.

Mittwoch, vierundzwanzigster März, circa fünfzehn Uhr dreiundzwanzig. Eine leichte, salzige Note liegt in der Luft, sie findet Zugang in die durchschnittlich großen, dafür aber von einem überwiegend aus Knorpel bestehenden, aufgesetzten Buckel, merkwürdig erscheinenden Nasenlöcher Michael Graupners. Als nächstes erreicht sie den Nasenvorhof, der jedoch seinem Namen gerecht wird und nur beiläufig eine Rolle spielt, ihr Ziel ist vorerst die Nasenhöhle, dort schmiegt sie sich in die gelb- rötliche Nasenschleimhaut und könnte in dieser Bequemlichkeit für immer verharren. Allerdings ist ihr Aufenthalt nur von kurzer Dauer, durch einen plötzlich aufwirbelnden Tornado, verabschiedet sie sich von ihren neu gefundenen Freunden und nimmt Platz auf einem vierhunderteinundvierzig Quadratzentimeter großen Papiertaschentuch. Ob dieser Strand von großer historischer Bedeutung ist, kann ich euch nicht sagen, seine nicht vorhandene Schönheit hält sich in Grenzen, die Sandkörner erstrecken sich in ihrer Länge vielleicht einen Kilometer, ehe sie von in die Höhe ragenden Kreidesteinen aufgehalten werden. Es ist weit und breit kein Mensch zu sehen, nur ein paar heruntergekommene Häuser lassen den Gedanken an so etwas wie Zivilisation aufkommen. Viel anders muss das vor zweihunderteinundvierzig Jahren an dieser Stelle auch nicht ausgesehen haben. Hier oder zumindest in unmittelbarer Nähe soll am neunten Oktober siebzehnhundertneunundsechzig der britische Seefahrer James Cook seine zehn Zehen erstmals auf neuseeländisches Festland gesetzt haben. Ein paar Maori sollen ihm zum Willkommen ihren Kriegstanz, den Haka, vorgeführt haben, der nicht unbedingt als eine freundliche Begrüßung zu verstehen sein muss. Ein paar Crewmitglieder nahmen den Tanz aber doch etwas zu ernst und erschossen sechs Maori, so musste James Cook wieder zurück auf seine Endeavour und setzte weiter südlich endgültig Anker. Dort erhielt er wohl einen wärmeren Empfang bzw. zügelte sich seine Mannschaft mit Danksagungen und so begann die Besiedlung der beiden neuseeländischen Inseln. Zweihundertvierzig Jahre ist das also erst her und irgendwo hier muss das doch gewesen sein. Weit und breit kein Hinweisschild auf dem Highway, keine Statue oder zumindest eine Gedenktafel, nichts. Während andere Länder solch einen historischen Punkt mit zig siebunddreißig Sterne Hotels oder Freizeitparks zugebaut hätten, scheinen die Kiwis nicht besonders „stolz“ auf dieses Ereignis zu sein. Ich jedenfalls bin es. Was würde ich ohne James Cooks Entdeckung jetzt machen? Wahrscheinlich würde ich in irgendeinem der unzähligen Eberswalder Naturparks Unkraut reinigen, Graffitischmierereien aufheben oder Hundekacke jähten. Stattdessen befinde ich mich in einem der schönsten Länder der Welt, zwar verschnupft, aber glücklich. Thank you, James.

Da haben wir dann auch mal wieder etwas Geschichtliches eingebaut, reicht aber fürs erste. Heute soll es unter anderem um eine der englischsten der englischen Sportarten, eine Kathedrale mitten auf einem Strand und den so lang herbei gesehnten „Urlaub“ meines Hauses gehen.

An einem meiner ersten Abende in Neuseeland, Anfang August (das ist doch jetzt nicht schon fast acht Monate her?) bin ich mit ein paar anderen Freiwilligen in eine Bar. Fast jeder Laden hier, der auch nur so etwas wie einen Alkoholausschank besitzt, hat mindestens einen achtundvierzig Zoll großen Bildschirm, auf dem überwiegend Rugby geschaut wird. Als wir die Bar betraten lief etwas anderes, nämlich Cricket. Mein Interesse für diesen Sport hielt sich bis dahin arg in Grenzen, da vorher noch nie gespielt, geschaut oder gehasst. Auch an diesem Abend, es spielte England gegen Australien, konnte sich mein linker kleiner Finger vor mangelnder Begeisterung beruhigt an mein Bierglas klammern. Irgendwelche in weiß gekleideten Menschen werfen einen kleinen Ball auf einen Sandkasten und ein Mann mit Helm versucht diesen irgendwo hinzuschlagen. Atemberaubend. So ignorierte ich diesen Sport in meinen ersten sechs Monaten. Als wir Anfang Februar mit unseren Behinderten im Camp Cricket spielen sollten, bewegte sich mein kleiner linker Finger schon etwas mehr. Einer der Betreuer erklärte uns die Regeln im Grundsatz und meinte, dass die neuseeländische Nationalmannschaft, einfach nur Black Caps genannt, demnächst zu Hause gegen Australien, das Beste was es weltweit im Cricket gibt, spielen werden. Überhaupt gilt erst mal zu sagen, dass es drei verschiedene Formen vom Cricket gibt, die erste dauert nicht länger als zwei Stunden, die zweite ungefähr acht und die dritte kann Tage gehen. So wurde Ende Februar im Fernsehen ein Match des ein Tages Cricket übertragen, was meinen kleinen linken Finger in schon fast enthusiastische Stimmung versetzte. Cricket ist so ein Sport bei dem man wirklich jede Minute dran bleiben muss, da man ja sonst irgendetwas verpassen könnte und so saß ich mit meinen Mitbewohner fast durchgehend acht Stunden vor dem Fernseher. Bei den Kiwis rangiert dieser Sport, nach Rugby natürlich, auf dem zweiten Rang, noch weit vor Fußball. Zum Glück gewann an diesem Abend Neuseeland in einem ziemlich spannenden Spiel und ich entschied mich in einer Woche nach Auckland zum Cricket zu fahren. Gesagt getan. Schaffe ich es diese typische englische Sportart im Grundsatz in sechs Sätzen zu erklären? Schaun ma mal. (Achtung! Die Folgenden Sätze könnten zu gelegentlicher Langeweile führen!) Beim Cricket treten grundsätzlich zwei Mannschaften á elf Spieler, auf einem ovalen Spielfeld spielend, gegeneinander an. In der Mitte dieses Spielfeldes befindet sich ein zwanzig Meter langer und drei Meter breiter Streifen, das sogenannte Pitch, an dessen beiden Enden befinden sich drei aufgesteckte Stäbe, die mit zwei kleinen Holzstäben bedeckt werden, dieses Gestell bezeichnet man als Wicket. Diese Wickets werden von jeweils zwei Menschen der gleichen Mannschaft „beschützt“, den Batsman (Schlagmänner), die eine Art Holzschläger (hat etwas von einem Golfschläger, nur halt aus Holz) in der Hand haben. Die andere Mannschaft besteht aus einem Bowler (Werfer) und den anderen zehn Teammitgliedern, die auf dem Feld verteilt stehen und warten bis etwas passiert, was sich hinziehen kann. Der Bowler (er hat sechs Würfe; sechs Würfe = ein Over) versucht nun den Ball so zu werfen, dass er das Wicket des gegenüberstehenden Batsman trifft und diesen damit eliminiert, dieser versucht hingegen den Ball so zu treffen, dass er möglichst unerreicht für alle Feldspieler irgendwo auf dem Feld oder auf der Tribüne landet. Falls er ihn trifft versucht er mit dem zweiten Batsman so oft wie möglich die Position zu tauschen, also von einem Wicket zum anderem, maximal sechs Mal. Ein Batsman ist draußen, wenn sein Wicket getroffen wurde oder der geschlagene Ball direkt, ohne vorher Aufzukommen, gefangen worden ist, eine Mannschaft hat zehn Batsmans, gewechselt werden die „Aufgaben“, wenn alle Batsmans aufgebraucht oder fünfzig Over (also dreihundert Würfe!!!) gespielt worden sind. Oh Gott, dass waren sieben und ich hätte noch mehr schreiben können. Egal so sieht es im Grundsatz jedenfalls aus. Für fünfzig Over benötigt man circa dreieinhalb Stunden, dann ist eine fünfundvierzig minütige Halbzeit, in der fast alle aus dem Stadion verschwinden. Meine Sitznachbarin ist mit ihren Kindern nach Hause Abendbrotessen. Neuseeland hat an diesem Abend gegen Australien übrigens verloren, ziemlich eindeutig sogar, war aber wurscht, ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Ein paar Bilder:

Tatort; Auckland, Eden Park, der anscheinend grad umgebaut wird. Gelb ist Australien, Schwarz Neuseeland.

Cricketszene. Manche Bowler bowlen über einhundertundfünfzig Kilometer pro Stunde.

Zur Halbzeit eine knackige Frankfurter.

Und da machen wir einen Hacken ans Cricket. Vor zwei Wochen hatte ich wieder einmal vier Tage hintereinander frei, so bestand der Drang, dieses schon so überreiste Land noch weiter zu bereisen. Die ersten beiden Tage wurden mit dem traditionellem Donnerstagabendspaß, dem Kauf dreier neuer Reifen und dem Nicht- Aufholen meines Schlafmangels verbracht. Am Samstag packte mich dann aber der Elan, und mein Van und ich verließen unseren Wohnort für zwei Tage. Es ging nach Rotorua, siebzigtausend Einwohner groß und mitten auf der Nordinsel gelegen. Wenn man den Ortseingang von Rotorua passiert steigt umgehend ein eigenmächtiger Gestank in die Nase von Menschen, es riecht nach faulen Eiern. Hat Rotorua etwa eine Städtepartnerschaft mit Gelsenkirchen? Oder was, oh ja, evoziert diesen scheußlichen Geruch? Die Antwort ist, dass in und um Rotorua eine mit Island vergleichbare, geothermale Aktivität vorherrscht, sodass es unzählige Schwefelquellen gibt, die für den Geruch verantwortlich sind. Durch diese geothermale Geschichte gibt es aber auch ein paar Geysire, welche für die zahlreichen Asiaten natürlich ein perfektes Fotomotiv waren.

Augen auf.

Ein bisschen was über die Maorikultur wurde mir auch erzählt, Rotorua ist so etwas wie ein Maorizentrum in Neuseeland, aber dazu jetzt nichts. Genächtigt habe ich in meinem Bongo am Rande eines Sees, sehr gemütlich. Am Sonntagvormittag standen dann um die fünfhundert Kilometer auf meinem Fahrplan. Erster Stopp ein kleiner Hügel am Rande Rotoruas. Dort kann man in einem Rainer Callmund großem Ball einen kleinen Berg runter rollen und auf Grund des in dem Ball befindlichen Wassers nass werden. Die ganze Geschichte nennt sich Zorb und war der ultimative Megafun.

Geradeaus oder Zig- Zag.

Nächstes Ziel war Matamata. Eigentlich nichts besonderes, wenn da nicht vor ein paar Jahren ein paar ziemlich erfolgreiche Filme gedreht wurden, bzw. einige Szenen davon. Neun oder Zehn Kilometer von Matamata entfernt befindet sich das Auenland aus dem Herrn der Ringe. Nun gut, viel davon ist nicht mehr übrig, man kann an einer überteuerten Tour entlang der ehemaligen Drehorte teilnehmen und Schafe sehen, das wars. Da fand ich ein Touristenfoto in der Stadt schon spaßiger.

Die Begeisterung springt geradezu aus seinem Gesicht.

Zum Abschluss des Tages fuhr ich etwas weiter nördlich, zur Coromandel- Halbinsel, die ein paar sehr nette Strände zu bieten hat und nicht nur das. Eigentlich liegt die Küste im Schnitt vierzig Meter über dem Meeresspiegel, aber es gibt zahlreiche kleine Buchten die von in die Höhe ragenden Kalksandsteinen nur so um türmt sind. Einer dieser Gesteinsformationen wurde durch das umliegende Wasser ausgespült und so entstand eine ziemlich beeindruckende Höhle. Auf Grund ihrer Form bezeichnen sie Frauen und Männer auch als „Kathedrale“.

Da steht er.

Entlang der ganzen Küste gibt es ein paar merkwürdig aussehende Gesteine.

Am gleichen Abend musste ich wieder zurück nach Hause, wo dann schon der nächste Ausflug auf mich wartete.

Der diesjährige Haustrip meines Hauses führte uns an östliche Ende Neuseelands, nach Gisborne. In fünf Tagen haben wir eintausendfünfhundert Kilometer mit unserem Van absolviert, also alles andere als Urlaub. Aber ich will nicht meckern, für Null Komma null Cent habe ich eine mir bisher komplett unbekannte Ecke Neuseelands kennen gelernt und meine Liebe zu diesem Land wiederentdeckt. Nachdem die Braunheit in und um Helensville nicht unbedingt faszinierend ist, war es die Landschaft im Osten alle Mal. Wir haben einen ganz schönen Umweg ums East Cape gemacht (alle jetzt mal auf die Karte rechts geschaut, dort findet ihr im Nordosten so einen kleinen Buckel, da sind wir rum), links die sehr entspannt drein schauende See, rechts erstreckt sich Kilometer ins Landesinnere der Neuseeländische Regenwald. Die auf dem Weg entgegengekommenen Autos hätte man an Fingern und Zehen abzählen können, Dörfer, die aus drei Häusern und einer Kirche bestehen, Ortschaften in denen der Hans vom Ortseingang noch den Dieter vom Ortsausgang kennt, hier ist die Welt noch in Ordnung, sei es ihnen gegönnt. Auf dem Weg spielte sich übrigens auch die im Eingang beschriebene Szene ab, so mit am östlichsten Punkt Neuseelands. Ziel war aber Gisborne, nicht größer als Bernau, rühmt sich selbst als erste Stadt der Welt die die Sonne sieht, nice. Agnes kommt ursprünglich aus Gisborne und der Trip war dazu da ihre Verwandten zu besuchen und, so makaber es auch klingt, ihr späteres Grab zu besichtigen. Agnes war seit mehr als zehn Jahren nicht mehr in ihrer Heimatstadt, was aber keine Rolle spielte. Sie kannte jede Straße, jedes Haus und fast alle Menschen. So kam aus dem Hinterteil unseres Vans immer Folgendes: „Go that side, where Michael is sitting, my brother used to work here, when he left school.“ Sie kann nicht zwischen Rechts und Links unterscheiden. Naja, alles in allem hatten wir ein paar angenehme Tage und ich war jetzt auch im Osten, sehr schön.

Die Reisecrew von No 5; Cathy, Agnes, Roy, Rachael, Ron, Wurst.

Na dann, dieses Osterei hat sein Haltbarkeitsdatum noch auch schon so langsam überschritten und darf jetzt endgültig verzehrt werden. Ich hoffe der zweite Satz meiner Einleitung hat nicht zu viele Kopfschmerzen hervorgerufen.

Ein österliches Ostern!

Morgen ist der 1. April!!

Grüßt die Kiwis!!!

Euer Michi

Montag, 15. März 2010

Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.

Der Sommer lädt zu seiner Abschiedsvorstellung. Mit letzter Kraft schafft es die Sonne die immer mehr werdenden Wolken etwas zu verdrängen, die es ihrerseits vollbringen, den üblichen neuseeländischen Schauer von Tag zu Tag auf Minute zu Minute zu verlängern und so das Trocknen der Wäsche deutlich erschweren. Wie im letzten Eintrag schon erwähnt besitzen die sonst im satten Grün nur so triefenden kleinen Hügel in und um Helensville schon längst nicht mehr die Farbe der Hoffnung. Das gleiche Schicksal ereilt den importierten oder einheimischen Bäumen, bzw. deren Blätter, nun ebenfalls. Auf Grund dieser Farb- und daraus resultierenden Form- und Gewichtsänderung, werden sie von der Mutter aller Kräfte magisch angezogen und bevölkern nun fleißig unsere, im Hintergarten leicht anhebende, Grasfläche. Der Verfasser bot sich schon mehrmals an die schon lange nicht mehr ausgeübte Disziplin des Laubharkens auszuführen. Aber seine Hilfe wurde knallhart abgewiesen; was muss das für ein Mensch sein, der auf die unschätzbaren Kräfte des Michael G. verzichten kann? Es ist Agnes Ward. Und so steht, sitzt, oder liegt meine gute, alte Zimmernachbarin Tag für Tag im Garten und hebt die Blätter auf. Aufheben? Ja, aufheben. Zwar haben wir drei verschiedene Harken in der Garage, aber Agnes bevorzugt halt die Handarbeit und so kommt sie zu nichts anderem mehr, außer dem Aufheben von Blättern. Bitter an der ganzen Sache ist, wenn sie zum Mittag eine Pause einlegt, ist die ganze Grasfläche schon wieder überflutet und nach dem Abendbrot gibt es die gleiche Geschichte. Nun gut, das nur mal so zum Einstieg.

Ansonsten lässt sich der anbahnende Herbst auch an meinem Gemüts- bzw. Gesundheitszustand erkennen. Beim letzten Mal hatte ich euch ja berichtet, dass uns der amerikanische Betreuer verlassen hat, worüber wir alle ganz froh waren, viel mehr Arbeit hatte ich eigentlich nicht erwartet, da er nie wirklich was gemacht hat. Ich dachte auch, dass man jemand anderes findet der mit mir die Bäder putzt, Essen kocht und Wäsche wäscht, da habe ich aber wohl falsch gedacht. So kam es, dass ich die letzten drei Wochenenden nahezu auf mich allein gestellt war, bzw. bekam ich vorletztes Wochenende abends Hilfe von einer Betreuerin, deren Alkoholfahne alle der einhundert Hertha- Randalierer im Nu in einen langen Schlaf versetzt hätte. Ein Anruf bei meiner Chefin genügte um sie aus dem Haus zu entfernen. Vor einer Woche dann noch das; Robbie, einer „meiner“ Behinderten, schlägt meine House Leaderin mitten auf die Nase, da sie im Moment sowieso schon an so was wie Burn- Out leidet wurde sie erst einmal für eine Woche freigestellt wurde. Damit bin ich quasi der einzige Betreuer, der in unserem Haus wohnt und schaffe meine eigentlich vorgesehenen achtunddreißig Stunden die Woche locker in drei Tagen, die Anzahl, Tiefe und Breite meiner Augenringe vergrößert sich im Moment täglich, toll. Um mich mal wieder auf etwas andere Gedanken zu bringen bin ich letzte Woche an meinem freien Tag endlich wieder ins Fitnessstudio, wo ich vorgeführt bekam, wie wenig ich für meinen Körper die letzten Monate doch getan habe, ich hätte Weinen können. Einer der staff member meinte ich werde die nächsten Tage einen „bloody sore“ spüren, so richtig Glauben wollte ich ihm aber nicht schenken. Der Tag danach ging noch, der Tag danach auch noch, aber der Morgen am Tag danach am Tag danach, war grausam. Meine gesamte Schulter war quasi wie gelähmt. Ich fühlte mich wie John McCain, meine Arme konnte ich nur noch auf Schulterhöhe bewegen, ich lief den ganzen Tag gebeugt, nur dieses fiese Lachen bekam ich nicht ihn. Jedenfalls erzeugten diese Stunden als Krüppel ein wenig Respekt vor dem dreiundsiebzigjährigen aus Arizona, der lebt ja schon ungefähr vierzig Jahre so. Der Schmerz in der Schulter war Sonntagmorgen nahezu verschwunden, als sich mein linkes Knie zu Wort meldete. Ein Blick auf dieses versetzte mich ein wenig in Schrecken. Ein dem Kilimandscharo gleichender Hügel erhob sich von diesem, aber nicht nur das, im Süden des Hügels erstreckte sich ein ovalförmiges Oval mit einem nicht gemessenen Durchmesser von 6,39 Zentimeter und einem etwas blassem Rotton. Auf diesem Fleck hätte man ohne weiteres ein Spiegelei braten können, der Temperaturunterschied zum anderen Knie war frappierend. Ehrlich gesagt hat mich das aber nicht weiter interessiert, konnt zwar nicht richtig laufen, aber wird schon wieder. Als meine House Leaderin heute zu einem Besuch vorbeikam, reichte ein Blick und sie nahm mich zum Doktor. Der meinte, dass es sich aller Voraussicht nach um eine nicht zu definierende Entzündung handelt. Ohne zu fragen pumpte sie mir auch gleich irgendein Antibiotikum in die Vene, schaun ma mal wie es weitergeht, bin jetzt für zwei Tage erst mal frei geschrieben. Als ich wieder nach Hause ankam, fragte mich Agnes gleich ganz besorgt: „Michael, are you having cancer?“ Fast. Aber Schluss mit diesem selbstmitleidigen, uninteressanten und weinerischen Berichten. Dann solla doch zu Kerner gehen! Genau, der gute Johannes B. ist aber derzeit nicht in Neuseeland und wird hier so schnell auch nicht erscheinen, ausheulen kann ich mich auch später, aber jetzt erst mal zurück zu den wirklich wichtigen Dingen.

Ich bin euch noch ein paar Zeilen über meine vier freien Tage, vor mittlerweile auch schon unfassbaren drei Wochen, schuldig. Da ich ja seit Anfang Februar eine vorher nicht gekannte Mobilität genieße, hatten wir, das sind zwei andere deutsche Freiwillige und Michael Graupner, uns entschlossen die Tage auf der im Aucklander Hafen vorgelagerten Insel namens Waiheke Island zu verbringen. Mit dem Van, unter, neben und über uns, brauchten wir uns ja auch nicht mehr um Unterkünfte zu kümmern. Waiheke Island ist eine vom Festland ziemlich unabhängige Insel, es leben auf ihr circa achttausendvierhundertdreiundzwanzig Einwohner, man hat alles was man braucht, Supermarkt, Tankstellen, Kino und eine Guinnessbar. Aber irgendwie hat uns das alles nicht so vom Hocker gerissen, wenn man so ziemlich alles auf der Südinsel gesehen hat, konnten wir uns für unzählige Weinberge, ein paar mittelmäßige und nicht besuchte Kunstaustellungen und die vertrocknete Landschaften nicht wirklich begeistern. Unsere Hauptaufgabe bestand eigentlich aus dem Nichtstun. Wir habe fast den ganzen Tag am Strand gelegen, wenn wir einen Bewegungszwang verspürten sind wir ins Wasser, um dann aber auch gleich wieder aufs Handtuch rauf und weiter zu schlafen, es war grandios. Unseren Van haben wir dann nachts Mitten in der Pampas geparkt und dort unsere Zelte aufgeschlagen. Mit drei Menschen in diesem Gefährt war es verdammt eng, aber wir haben überlebt. Die Folgenden Bilder dienen zur Veranschaulichung.

Der Verfasser schlafend.

Beim Schlafplatz aufbauen.

Das Braune Waiheke.

Was gibt’s noch zu berichten? Etwas über meine neue Lieblingssportart? Ah, ne dafür benötige ich ein kälteres Knie und ein bisschen mehr Lust. Da schreib ich nur kurz von einem Ausflug mit den Behinderten am Samstagnachmittag. Es ging zur größten Agrarschau in der südlichen Hemisphäre (dieses Attribut hängen die aber bei jeder etwas größeren Veranstaltung ran), der Kumeu Show. Eigentlich war die ganze Sache nichts Besonderes. Ich hatte Gott sei Dank noch Hilfe von einer Betreuerin für diesen Ausflug bekommen, ansonsten wäre ich gestorben. Ich bin mit den Zwillingen umhergelaufen. Zuerst hatte sich Ron, zur Erinnerung er ist taub, eine Gitarre gekauft und mir diese überglücklich präsentiert, er hat von diesem Musikinstrument ungefähr zehn in seinem Raum. Unser Weg führte uns zu einem Stand, wo sich kleine Kinder ihre Körperteile mit kleinen Bildchen bemalen lassen können und dann sagen sie haben ein Tattoo. Ron war von diesem Stand hin und weg und wollte unbedingt eines dieser Bildchen, na gut, ist ja dein Geld. Aus einem wurde dann aber zwei und so läuft mein achtundsiebziger Großvater jetzt mit zwei Herzmotiven auf dem Oberarm (kann natürlich keiner sehen) durch die Welt.

Hier ein Bild von DJ Lewis.

Sei Bruder wurde daraufhin etwas neidisch und wollte auch unbedingt eines. Anfangs wollte er sich das Eiserne Kreuz auf den Arm malen lassen, aber ein guter Geist konnte ihm das Ausreden. Er entschied sich dann für das gleiche Motiv wie sein Bruder nur in anderer Farbe.

Diesmal Orange.

Na dann ihr Freunde des Bloglesens, werde ich mal langsam den Ausgang finden. Ach so, alle sich auf meinem Fuß befindlichen Fäkalien sind aber noch nicht ganz erzählt. Der im letzten Halbjahr so öde Donnerstag entwickelt sich derzeit zu einem der langen Nächte, wir vier Freiwillige und zwei andere Betreuerinnen leben am vierten Tag der Wochen ein wenig das Aucklander Nachtleben. Auf Grund der Anzahl an Personen ist mein Van das ideale Transportmittel, selten sind wir vor um fünf wieder zurück. Geschlafen wird dann immer im Haus eines Freiwilligen. Wie dem auch sei, letzten Freitag wurde ich um vierzehn Uhr geweckt: „Michael, your van got a flat tyre.“ Nach dem ich das Ganze zuerst für einen Scherz hielt stellte ich eine Stunde später fest, dass der Reifen mehr als nur einen Platten hatte. Naja passt ja im Moment richtig gut. Da ich aber von einem Reifenwechsel genauso viel Ahnung habe, wie Dirk Niebel von Entwicklungspolitik, war ich anfangs ziemlich ratlos. Gott sei Dank kannten sich meine beiden Waiheke- Kumpanen etwas mehr aus und so packten wir es dann an. Es brauchte circa einhundertdreiundfünfzig Minuten bis wir das Ersatzrad an Ort und Stelle befestigten, muss man ja auch mal durch.

Übrigens habe ich ein paar meiner, in zu großer Anzahl geschossenen, Fotos meines Reisemonats online gestellt. Leider besaß ich noch keinerlei Motivation diese ausreichend zu beschriften, folgt aber. Könnt ja mal unter dem Ordner Reisemonat in meiner Fotogalerie nachschauen.

So jetzt dürfte mein Fuß von allem Unangenehmen befreit sein. Als Abschiedsbild gibt es heute eine Nachtaufnahme der Sykline von Auckland.

Euch eine beinfreie Woche!

Es ist ja auch schon wieder Mitte März!!

Grüßt die Kiwis!!!

Euer Andi Brehme