Samstag, 16. Januar 2010

Weitermachen, immer weitermachen.


Da lasse ich euch mal fast zwei Wochen in Ruhe und schon könnte ich wieder Seitenweise über mein Nomadenleben berichten. Am Montagmorgen, als ich mir im Van gedanklich so meinen nächsten Blogeintrag vorgestellt hatte, wollte ich euch von einer erneut unfassbaren Begegnung, einer gemütlichen Wanderung oder dem touristischen Highlights Neuseelands schreiben. All diese Pläne wurden aber am Montag gegen 14:03 Uhr zu Nichte gemacht, bzw. teilweise, sicherlich werde ich auf das ein oder andere später noch zurückkommen, dann bestimmt in knapperer Form. Was ist denn nun am Montagnachmittag so uninteressantes passiert?, werdet ihr euch jetzt fragen, dann mal los.

Nach einer weiteren, zu kurzen, ungemütlichen, aber Sandflies-losen Nacht im Van haben wir unsere Zelte in Richtung Mt. Cook Nationalpark aufgebrochen. Mt. Cook, oder auf Maori Aoraki, ist mit 3754 Metern der höchste Berg Neuseelands, er befindet sich demnach Mitten in den neuseeländischen Alpen und um ihn herum haben sich unzählige Zwei- bzw. Dreitausender platziert. Der Trip dort ihn hatte einen ganz schönen Umweg auf unserer Route bedeutet und war auf Grund des regnerischen Wetters umstritten, aber ich konnte mich nach langer Diskussion dann doch durchsetzen :). Eigentlich war geplant ein wenig im Park rumzuwandern, vielleicht vier Stunden, dann ab in ein gemütliches Hostel, mit Dusche, warmen Bett und reichhaltigen Frühstück, es kam ganz anders. Im örtlichen Informationszentrum angekommen haben uns alle dort im Flyer angezeigten, für Amateure empfohlenen, Wanderwege nicht wirklich vom Hocker gerissen. Durch Zufall stieß Till dann auf einen Weg, der nur sehr spärlich auf einer sich an der Wand hängenden Karte markiert war und nach einer zwei Tagestour aussah – der Ball Pass Track. In einem Hefter von 1999 wurde angemahnt diesen nicht beschilderten Weg nur mit Wandererfahrung im alpinen Hochgebirge, also unter anderem auf Schnee und Eis, zu bewältigen. Haben wir die? Nein. Nichtsdestotrotz wurde beim Ranger erst einmal nachgefragt: Können drei vollkommen unerfahrene, nicht ausgeschlafene, deutsche Touristen diesen Track absolvieren? Grundsätzlich schon. Was braucht man an Ausrüstung? Eisaxt, Steigesen und ein Zelt. Ist mit Lawinen oder sonstigen Erdrutschen zu rechnen? Kann durchaus passieren, aber eher unwahrscheinlich. Was ist die eigentliche Schwierigkeit des Tracks? Den Weg zu finden. Als einziges Problem stellte sich nur die Suche nach einem zweiten Zelt dar. Axt und Steigeisen konnten wir ausleihen, ein Zelt gab es nicht mehr. Wie aus dem nichts erschien dann aber ein Australier mit seiner Frau die fast den gleichen Weg gerade eben absolviert hatte. Nach einer kurzen Unterhaltung hat er uns aus freien Stücken sein neunhundert Dollar Zelt ausgeliehen, sein Kommentar: „Man kann damit auch den Mount Everest besteigen.“ Der musste es ja nun nicht gleich sein. Mit vollem Gepäck und einem mulmigen Gefühl in welcher Verfassung wir wieder zurückkehren, ging es dann um 15 Uhr auf den Ball Pass Track.

Die ersten drei Stunden wurden noch auf gut 700 Meter gewandert, der „Weg“ führte durch eine Art Buschlandschaft, da es die Tage zuvor nur so geschüttet hatte mussten wir mit unserem Gepäck durch kleine Seen und Flüsse und waren bis zu den Oberschenkeln dementsprechend nass. Um ca. 19 Uhr kam dann die eigentliche Herausforderung des Abends. Es galt einen recht steilen Anstieg zu überwinden, der anfangs mit Gestein, am Ende aber mit Eis bedeckt war. Der erste Teil erfolgte problemlos, der zweite eher nicht. Es mussten die Steigeisen untergeschnallt werden und die Axt diente als Stütze. Hoch ging es in Serpentinen, das Schwierige allerdings war, dass man nie so genau wusste wie dick denn nun das Eis ist, auf einmal war man dann zur Hälfte reingeplumst, oder noch besser man rutschte aus und schlidderte zehn Meter auf dem Eis runter, bis man irgendwann stoppte, es war alles andere als ein lauer Abendspaziergang. Nach siebenstündiger Wanderung hatten wir dann aber unser „Camp“ in gut 1900 Metern erreicht und als erstes wurden unsere Zelte aufgeschlagen. Hier mal ein Bildchen am Morgen danach.


Es war so kalt, dass am nächsten Morgen die überlebenswichtige Nutella komplett gefroren war, als Frühstück musste dann nur trockenes Toast herhalten. Danach ging es in die kalten, stinkigen, nassen Schuhe und Socken und um halb acht wurde wieder losgewandert. Die teilweise schon blau angelaufenen Finger wechselten mit zunehmender Dauer auch endlich ihre Farbe und das Wetter wurde immer besser. Nach zwei Stunden bekamen wir dann vor Augen geführt wie waghalsig doch diese ganze Tour ist. Wir konnten von weitem den Ball Pass sehen, den es ja zu überqueren galt, dieser war komplett in Schnee bedeckt und an Steilheit nicht zu überbieten. Vielleicht kann ja dieses Bild die Szenerie irgendwie wiedergeben, ich bezweifle es aber.

(Die weiße Linie zwischen den beiden Bergen ist der Pass.)

Ein Zurück gab es nicht mehr, wenn nicht jetzt wann dann. Steigeisen wieder unter die Füße geschnallt und die Axt zur Hand genommen. Gerade als wir die ersten Meter auf dem Schnee absolviert hatten glaubte ich auf dem Gipfel eine Bergziege erkannt zu haben, nein sogar zwei. Kann doch nicht möglich sein, vor allem als die Ziegen dann Helme und Rucksäcke aufhatten. Zwei Schottinnen sind genau den gleichen Weg gelaufen, nur halt in anderer Richtung, nach kurzem Plausch und gegenseitigen Mut machen ging es weiter, warn ja nur noch 200 Meter. Die Zehen begannen zu frieren, die Waden waren kurz vor dem aufgeben, Worte kamen nur noch bruchstückweise aus dem Mund. Schritt für Schritt, näherte man sich zwar dem Ziel, aber man sank immer tiefer in den Schnee hinein, der Mut sank von Minute für Minute, der Wind wehte eiskalt ins Gesicht; kann es nicht endlich vorbei sein? Doch plötzlich kamen die Worten eines völlig unbekannten, in Karlsruhe geborenen, ehemaligen Nationaltorhüters in den Kopf: ‚Weitermachen, immer weitermachen!‘ Und mit einem letzten Schrei der Erschöpfung war es geschafft, der Ball Pass in Höhe von 2100 Meter erreicht. Jedes, der von mir zu oft missbrauchten Adjektive der positiven Umschreibung führt die sich vor meinen Augen wiedergespiegelte Kulisse ad absurdum. Es befand sich keinerlei Wolke am Himmel und vor uns tummelten sich die höchsten Berge Neuseelands, allen voran natürlich Mt. Cook. Leider konnten wir diesen Anblick nicht ausgiebig genug genießen, wer einen Berg hoch läuft muss ihn auch wieder runter. So stand also noch ein zehnstündiger Abstieg vor uns, der uns über Schnee, Eis und Gestein wieder ins Tal führte. Teilweise brenzlige Situationen galt es zu überstehen, aber um halb zehn abends standen wir alle, komplett erschöpft wieder am Van, nach vierzehn Stunden Wanderung galt es nur noch einen Schlafplatz zu finden.

Nicht Wandlitz, nicht Ahrensfelde, nicht Rüdnitz, sondern…

Nach diesem außerplanmäßigen Bericht schließe ich wieder an die chronologischen Ereignisse unserer Reise an. Nach meinem, im letzten Blog berichteten, Skydive sind wir am nächsten Tag von Queenstown zum Milford Sound. Dabei handelt es sich um einen Fjord, der als das touristische Highlight Neuseelands gilt. Hunderte von Touristen bevölkern täglich den Sound und fahren mit einer der zahlreichen Schiffe den Fjord entlang, der mehr als zweihundert Tage im Jahr von Regen gesegnet ist. Da ich bei meinem Fallschirmsprung das gute Wetter erst einmal aufgebraucht hatte, weinte Petrus uns auch bei unserem Ausflug zum Milford Sound entgegen. Auch wir haben uns der Masse angeschlossen und eine kleine Bootstour genossen. Trotz des schlechten Wetters hat sich der Trip absolut gelohnt, die Wolken hingen vielleicht fünfzig Meter über dem Wasser und schmiegten sich durch den Fjord hindurch, ein atemberaubendes Naturschauspiel, Bilder davon gibt es wenn ich alle sortiert und in mein Album eingeordnet habe.


Am nächsten Tag haben wir uns zu einer viertägigen Wanderung aufgemacht, die im Nachhinein im Vergleich zu der am Anfang beschriebenen ein Kinderspiel war. Es wurde der sogenannte Kepler Track gewandert, 63 Kilometer lang und der zweitbeliebteste Wanderweg Neuseelands, sagt man jedenfalls. Dieser verläuft mitten durch das Fjordland und bietet ebenfalls einzigartige Blicke. Nachdem es am ersten Tag ziemlich steil bergan ging, liefen wir den zweiten Tag quasi einen Kammweg in 1200 Meter Höhe. An sonnigen Tagen hätten wir wohl eine überragende Landschaft zu Gesicht bekommen, aber mit Sonne wars diesmal wieder nichts. Rechts des Kammes befand sich eine dicke Nebelsuppe, links konnte man teilweise die anderen Berge erkennen. Als es dann langsam aufklarte führte der Weg aber wieder zurück in den Wald, in dem dann die folgenden beiden Tage weiter gewandert wurde.


Unsere Route führte uns anschließend auf sechs Uhr nach Invercargill und dann am letzten Wochenende auf vier Uhr nach Dunedin. Endlich mal wieder eine Großstadt, nein fast schon Metropole mit ihren 118.000 Einwohnern. Die achtgrößte Stadt Neuseelands hat dann aber auch nicht so viel nicht zu bieten. Ein paar nette Kirchen, eine mittelmäßige Kunstgallerie und die steilste Straße der Welt, die mit ihren durchschnittlich 35 % wirklich steil ist. Das wars jedenfalls von Dunedin. Obwohl eine Sache gibt es da noch.
Da Dunedin ein paar nette Bars haben soll, wollte ich am Samstagabend endlich mal wieder irgendwo weggehen und nicht wieder im Hostel bleiben und einen Film anschauen. In unserem Zimmer hat noch ein anderer Deutscher genächtigt, ein überzeugter Fan der Frankfurter Eintracht neben bei erwähnt, der meinte er geht mit zwei anderen aus Berlin nachher noch einmal in die Stadt. Berlin? Ich sag ja auch immer, dass ich aus Berlin komme, vielleicht haben die ja schon mal was von Eberswalde gehört. Als wir dann an deren Zimmer ankamen hab ich dann gleich mal fallen lassen, dass ich aus dem altehrwürdigen Eberswalde stamme. Die beiden, Willie und Mark hießen sie, konnten ihren Ohren nicht trauen. Eberswalde, gibs ja nicht. Wieso wo kommt denn ihr her? Na aus Werneuchen! Wie bitte, aus Werneuchen? Urplötzlich schossen Erinnerungen an legendäre Fußballspiele in meinem Kopf, die ich in diesem weniger beschaulichen Ort schon absolviert habe. An mein erstes Spiel auf Großfeld im August 2003, an eines meiner an drei Händen abzuzählenden Tore, dieses erzielt mit dem rechten Oberschenkel am 23. September 2007 oder an einer meiner größten Blamagen im Pokalviertelfinale April 2008. Oh Werneuchen. Ein Fußballplatz mit handgezählten 23 Grashalmen und einem Hügel in der Spielfeldmitte, Spieler, deren IQ im Durchschnitt bei 65,3 liegt und die nach Hundert Meter Sprint in sich zusammen fallen und Zuschauer, die, egal ob männlich oder weiblich, mit ihren 0,23 Zentimeter Kurzhaarfrisuren ohne weiteres die demokratischen Grundprinzipien tief in ihrem Gedankengut verankert haben. Oh Werneuchen. Nachdem wir uns bestimmt fünfzehn Minuten vor Ungläubigkeit nicht mehr ein bekommen haben sind wir in die Stadt und in einen guten Club. Werneuchen, ich kam den ganzen Abend nicht aus dem Kopfschütteln heraus.

Am Tag nach dieser einzigartigen Begegnung führte uns unser Van weiter nach Norden, nach Omaru. Dort haben wir uns dann abends blaue Pinguine angeschaut, die kleinste Pinguinsorte der Welt. Die kamen einfach aus dem Wasser und sind auf der Straße lang spaziert, ob sie wirklich blau waren kann ich nicht sagen, war ja schon dunkel. Anschließend haben wir dann einen Schlafplatz in der Nähe einer Kuhweide aufgeschlagen und am nächsten Morgen ging es in Richtung Mt. Cook und so sind wir wieder am Anfang.


Derzeit befinde ich mich in Christchurch, der drittgrößten Stadt Neuseelands. Ganz richtig ist das zwar auch nicht, sondern wir haben für vier Tage Asyl in einem weiteren Christian Camp bekommen und das ist etwas außerhalb der Stadt. Christchurch hat mich bis jetzt noch nicht begeistert und soll daher hier auch nicht großartig Platz finden. Einzig und allein der Fakt, dass Christchurch einen leckere deutsche Metzgerei zu bieten hat sollte ich erwähnen, da wurde heute endlich mal wieder eine Currywurst verzehrt. Am Sonntagmorgen geht dann auch schon der Flieger nach Melbourne zu den Kängurus, Wallabies und Tennisbällen. Hoffentlich werde ich dann auch mal Jojo zu Gesicht bekommen, vielleicht lebt der ja noch.


Euch allen dann mal eine möglichst bald schneefreie Zeit!

Bis demnächst!!


Grüßt die Kiwis!!!


Euer Reinhold

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