Dienstag, 13. Juli 2010

Ich packe meinen Koffer und nehme mit …

… mein rechtes Bein, meinen linken Arm, einen Fallschirmsprung inklusive Landung, eine Wäscheklammer, ein vollkommen legal ergattertes „Guinness“- Glass, zwei Kontaktlinsen, möglicherweise fünfzehntausend Kilometer Vanfahrerfahrung, ein Buch mit dem Namen „A short history of New Zealand“, keinen Kiwi, sechsundzwanzig mit der neuseeländischen Zeichensprache zu zeichnende Buchstaben, zwei neuseeländische Flaggen, mindestens zehn Kilo Gepäck weniger, keines meiner beiden Kandinsky- Poster, fünftausendunddreihundertundneunzehn Bilder,… Oh, einen wunderschönen guten Abend, da habt ihr mich aber gerade mitten beim Packen erwischt. Aber ich mach jetzt mal eine Pause, hole mir ein Glass Wasser aus der Küche und setzte mich zu euch an den Computer. So, da simma wieder, mein Koffer ist jetzt schon fast komplett gefüllt und kommt gleich zum wiegen, dass wird wahrscheinlich eines der spannendsten Erlebnisse meines Jahres. Knackt er die dreiundzwanzig? Wenn ja um wie viel Kilogramm? Aber diese atemberaubenden Fragen werde ich wohl eher beim nächsten Mal beantworten. Vielmehr will ich euch in den nächsten Minuten von meinen zwei letzten Wochen am anderen Ende der Welt berichten, Wehmut? Eindeutig.

Mein letztes Lebenszeichen gab ich ja wieder von diesem Platz aus, aber die Handlung endete mit dem letzten Spiel der deutschen Nationalmannschaft. Irgendwie muss ich ja auch wieder zurückgekommen sein und überraschenderweise geschah dies auch. Der diesmal dreiundzwanzigstündige Flug soll hier eigentlich keine besondere Erwähnung finden, aber ein Erlebnis dröhnt mir schon seit Wochen im Gehirn und will da unbedingt raus. Also bekommst du deine wohlverdiente Freiheit, Erlebnis. Meine Flugzeit geriet in direkten Konflikt mit den Anstoßzeiten der WM- Spiele eines Donnerstages, dem Tag an dem Neuseeland Paraguay spielte. Ich habe für gefühlte drei Stunden das Entertainment- Programm der Fluggesellschaft durchforstet, nichts von Live- Berichterstattung oder sogar Nennung von Ergebnissen. Ich hätte das Ergebnis vielleicht über hongkongnesisches Radio erfahren können, aber meine Mandarin- Kenntnisse sind leider noch nicht ganz ausgereift. So blieb mir nur geduldig das Ende des Fluges abzuwarten und dann am Hongkonger Flughafen direkt in ein Internet- Café zu gehen. Daraus wurde jedoch überhaupt nichts. An Schlaf war in keinster Weise zu denken und ich bewegte mich die ganze Zeit unruhig auf meinem Sitz. Dann nach ungefähr drei Stunden und vierundzwanzig Minuten war meine Geduld gebrochen und ich sprach eine Stewardess an. Meine Frage, ob der Kapitän nicht die Ergebnisse der Fußballweltmeisterschaft übers Mikrofon bekannt geben könnte, hat sie anfangs sehr skeptisch beäugt, da sie mich aber doch nicht enttäuschen wollte, meinte sie, sie könne sich mal drum kümmern und kommt vielleicht später noch einmal vorbei. Da war ich erst einmal etwas gelöster. Nun ging das bange Warten los; schafft es meine zweite Heimat in die zweite Runde? Nach zwei Stunden Wartezeit und drei gefühlten Toilettengängen immer noch nichts von ihr zu sehen. Ich kann doch hier nicht der einzige sein, der sich für dieses verdammte Spiel interessiert. Und dann kam sie. Ich sah sie schon von weitem. Mit ihrem knielangen schwarzen Rock, farblich passender Strumpfhose und Schuhe, stolzierte sie den Gang entlang. Als Oberteil trug sie einen guten alten Angela- Merkel- Gedächtnis- Blazer, farblich zu dem Rock stimmig. Ihre Haare machten auf Ohrläppchenhöhe eine sehr dynamische Welle, sie besaß schon lange kein asiatisches Porzellangesicht mehr, wie ihre abgemagerten Kolleginnen, dafür eine dickumrandete Brille, die ein Alter um siebenundreißig vermuten ließ. Mit jedem ihrer Schritte stieg die Anspannung und im Endeffekt sind es ihre rot gefärbten Fingernägel, die ein Stück Papier mit nur fünf Wörtern und vier Zahl beschriftet, festhielten. Ohne jede Regung im Gesicht gab sie mir das Stück Papier. Beim Lesen von „Paraguay 0“ spürte ich für den Bruchteil einer Sekunde das Adrenalin in meinen Adern Tango tanzen. Meine Augen bewegten sich Millimeter nach rechts und hätte es wohl eher die Todesfuge aufsagen wollen; „New Zealand 0“. Für weitere Wallungen sorgte dann das andere Ergebnis; „Slovakia 3 Italy 2“. Das war es dann, Aus in der Vorrunde. Aber die Enttäuschung sog sich fast umgehend aus meinem Körper. Ich wäre am liebsten auf gestanden, hätte geklatscht und „You `ll never walk alone“ gesungen. Leider hätte wohl keiner mitgemacht, noch nicht mal die Stewardess.

Zu Hause angekommen konnte ich selbstverständlich ohne World Cup nicht weiter leben. Einen Tag später stand gleich der Klassiker Deutschland gegen England an. Der besaß dadurch noch Brisanz, da meine beste Neuseeland- Freundin eine Engländerin ist und wir eigentlich erst im Finale aufeinander treffen wollten. Das Spiel wurde mit Jenna und den zwei anderen deutschen Freiwilligen in einer Aucklander Bar um zwei Uhr morgens verfolgt, Fußball schauen in Neuseeland kann ganz schön schlaftötend sein. Es war nichtsdestotrotz ein einmaliges Erlebnis und es waren sogar ziemlich viele Deutsche in der Bar. Am Ende haben es alle Beteiligten überlebt und konnten ohne jegliche Kratzer im Gesicht die Bar verlassen. Eine Woche später waren wir zur gleichen Uhrzeit, am gleichen Ort. Nach dem Argentinien- Spiel lief Nenas „Neunundneunzig Luftballons“, mehr braucht man dazu nicht mehr sagen, die Kiwis waren von den Deutschen begeistert und tippten uns alle nun als Weltmeister. Da lagen ja nicht nur sie falsch. Der Donnerstagmorgen begann mit einer zu erwartenden Enttäuschung, denn Paul wusste es ja. Dieser verdammte Oktopus macht übrigens auch hier Schlagzeilen. Der erste Kommentar des Moderators nach dem WM- Finale heute Morgen: „Spain is World Champion and Paul the octopus has been right once again.” Wortlos. Wer ist nebenbei erwähnt die einzig ungeschlagene Mannschaft des WM- Turniers? Genau, richtig, Neuseeland. Dieser Fakt wurde heute selbstverständlich in jeder Nachrichtensendung dreiundzwanzig Mal wiederholt, good on ya mates.

So, genug mit Fußball. Langsam wurde es auch einfach Zeit, dass die WM ein Ende hat. Was haben wir noch? Rugby. Och, nicht schon wieder Sport. Doch, da müssen wir jetzt durch und dann wird es etwas trauriger, ich mach es kurz. Am Samstag habe ich mir wohl meinen letzten Neuseelandtraum erfüllt. Ich bin mit den anderen drei Freiwilligen, einen Behinderten und dessen Vater zum Rugby- Spiel Neuseeland gegen Südafrika. Besser kann es im Rugby eigentlich nicht gehen, Südafrika ist aktueller Weltmeister und Neuseeland richtet die WM nächstes Jahr im eigenen Land aus und der ein oder andere würde wohl auf dieses Finale tippen. Somit war dieses Spiel der abschließende Höhepunkt eines fantastischen Jahres, die Spitze des Eisberges, die Rosine im Apfelstrudel, die Nadel im Heuhaufen oder einfach the icing on the cake. Keine Angst, ich werde euch jetzt nicht mit einer Erläuterung dieses Sports vom möglicherweise nötigen Toilettengang aufhalten, da ich das Spiel selber noch nicht einmal verstanden hat. Während ich euch Cricket halbwegs in ein paar Sätzen erläutern konnte, würde ich für Rugby fünf Tage benötigen und dann verpass ich wohlmöglich meinen Flieger. Ich bin nicht zum Rugby- Fan geworden, es ist einfach zu viel Gerangel, Geschubse und Gegrunze. Trotz alledem, Neuseeland won mit zweiundreißig zu zwölf und das war schon in der Deutlichkeit etwas überraschend. Bild:

All Blacks vs. Springbocks

Zu viele Abschiede

Das blöde an einem Jahr ist, dass es doch tatsächlich irgendwann rum ist und so befinde ich mich nun in den letzten Atemzügen meines Freiwilligen sozialen Jahres in Neuseeland. Viel schlimmer als das Vorrübergehen von dreihundertfünfundsechzig Tagen in einem Land ist, dass man in diesem Land Menschen kennen gelernt, die man doch nicht so einfach gehen lassen kann und das fällt besonders schwer. Ihr habt es erfasst, es herrscht die Zeit des Abschied Nehmens und dann fangen wir doch mal an.

Na wer war als erster dran? Richtig, mein Bongo. Vor mittlerweile auch schon wieder zwei Wochen sagte mein treues Fortbewegungsmittel auf vier Rädern „Good bye“ zu mir. Schon vor meinem Betriebsausflug nach Südafrika versuchte ich meinen Van auf dem neuseeländischen ebay zu verkaufen. Leider hielt sich der Erfolg in Grenzen und so war ich doch schon ein bisschen besorgt. Am neunundzwanzigsten Juni zweitausendundzehn kamen jedoch ein Ehepaar und die Mutter des Mannes für einen Besuch vorbei. Erst sah sich der Man den Wagen kurz an und meinte er würde gerne einmal damit fahren, dann sind wir mit seiner Mutter um den Blog und plötzlich meinte die Mutter wie viel ich denn für den Van haben möchte. Wir haben uns dann bei 1.800 NZ$ geeinigt. Ohne ihren Sohn zu fragen hat sie diesen Deal dann handfest gemacht und mir gleich das Geld in die Hand gedrückt. Da war ich natürlich etwas baff, weil ich nun so plötzlich Abschied von meinem Bongo nehmen musste. Es gab keine Abschiedsrede, keine letzte Fahrt und auch keine Träne. Dafür aber ein Foto:

Thank you for everything, Bongo.

Heute wurde dann ein weiteres Mal Abschied genommen. Extra für uns Freiwillige hat Mount Tabor eine Farewell- Party organisiert, das hatte es wohl vorher auch nicht gegeben. Leider war es eine typische Mt. Tabor- Veranstaltung. Als ein paar Leute etwas sagen wollten, waren alle schon dabei sich gegenseitig aufzuessen sosehr wollten sie zum Lunch- Büfett. Wir haben Mt Tabor auch ein kleines Abschiedsgeschenk gemacht, zu sehen gibt es dieses als letztes Bild dann.

Auch wenn es diese Veranstaltung mit fast allen Behinderten und Betreuern heute Mittag gab, ein Abschied den ich eigentlich lieber vermeiden wollte bzw. will ist ohne Zweifel der von meinem Haus. No5 war in diesem Jahr mehr als nur ein Ort an dem ich meinen Zivildienst verbracht habe, es war mein zu Hause und die Mitbewohner waren meine Familie. Wohl in keinem anderen Projekt ist die Beziehung zu den Menschen so eng, wie bei Mount Tabor. So gab es heute mein letztes Abendmahl. Es war nicht schön, natürlich nicht. Ich habe noch immer diesen salzigen Geschmack auf meiner Lippe, wer hätte das vor einem Jahr gedacht. Zum Abschied habe ich meiner Familie einen Hefter mit ganz vielen Bildern geschenkt, ich glaubte sogar bei meinen beiden Zwillingen eine Träne oder zwei erkannt zu haben. Aber Morgen früh gibt es nun den finalen Abschied und da wollen wir jetzt mal damit aufhören.

Was bleibt nach einem Jahr Arbeit mit geistig behinderten Menschen? Dass diese Art von Arbeit nichts für meine Zukunft ist, zumindest nicht als Vollberufler. Die Arbeit mag zwar körperlich nicht allzu anstrengend gewesen sein, mental war sie es allemal und das müsste man mir wahrscheinlich auch an mir merken dürfen wenn ich wieder zurück bin. Na, freut ihr euch noch mich Wiederzusehen? Schreibt am besten alle unnatürlichen Verhaltensauffälligkeiten, die ihr an mir feststellen könnt auf, da bin ich schon mal gespannt. Nichtsdestotrotz hat mir die Arbeit unglaublich viel Spaß gemacht, es war ohne weiteres das beste Jahr meines Lebens. Aber von euch möchte ich mich jetzt noch nicht verabschieden, kommt noch.

Morgen geht es also erst einmal auf ein Camp und am Freitag, ja am Freitag kehre ich in das Dampfbad Deutschland zurück, also zumindest geht da mein Flieger. In Deutschland angekommen habe ich dann ein weiteres spannendes Seminar, bevor ich nächsten Donnerstag endgültig wieder eberswalderanischen Boden betrete. Vorfreude? Anspannung? Lust auf Sommer? Um niemanden zu verletzten lasse ich diese Fragen mal unbeantwortet und stelle sie mir selber noch einmal, wenn ich im Flieger sitze. Damit verabschiede ich mich nun aus Helensville. Ein Blog steht noch in den Sternen, schaun ma mal was dabei noch raus kommt.

Hoffentlich bringe ich etwas Regen mit!

Euch allen eine abgekühlte und nüchterne Restwoche!!

Grüßt die Kiwis!!!

Zum letzten Mal aus dem Zimmer über der Garage:

Euer Michi


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